Katalog ‘PK 83-03’

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Peter Keizer Schilderijen 1983-2003

Der Katalog bietet eine Übersicht auf 20 Jahre Malerei, mit einem Text von Helga Geyer-Ryan.

Auf dieser Seite sehen Sie eine Anzahl Bilder aus dem Katalog, die Indexseiten und den genannten Text.




Helga Geyer-Ryan


DIE BILDERWELT VON PETER KEIZER


Die Geschichte des Malers Peter Keizer könnte so beginnen:

Es war einmal ein kleiner Junge, der hieß Peter, und er wohnte in Amsterdam. Sein Vater war der Maler Jerry Keizer, und so wollte der kleine Junge auch Maler werden, denn wer Keizer heißt, der kann schon hoch hinaus. So hoch wie einst in den dreißiger Jahren Opa Druif, der Großvater Peters, der in England "The Flying Dutchman" und in Holland "de vliegende keep" genannt wurde. Denn Opa Druif hieß eigentlich Gerrit Keizer und war gleichzeitig Torwart von Ajax Amsterdam und Arsenal London. Nicht nur flog er hoch vor den Toren herum, sondern auch wöchentlich hin und her zwischen Holland und England. Und weil er später einen Gemüseladen besaß und nie ohne Trauben zu den Enkelkindern kam, hieß er Opa Druif.

Opa Druif ist verewigt in "Hommage aan opa Druif" (Abbildung nr.100) aus dem Jahr 1996. Dieses Werk ist ein riesiges Tryptichon - korrekter noch: ein Fünfteiler. Denn an jeder Seite hält ein Paneel mit einem gemalten Händchen (die Hände des Torhüters?) das Tryptichon, das heute bei Ajax Amsterdam im Stadion "ArenA" hängt. Aus dem Umfeld von Opa Druifs hommage stammen märchenhafte Pokale in den zartesten Pastellfarben (nr.97-99). Hier wird deutlich, was die gesamte Malerei Peter Keizers prägt: die emotionale Beziehung zur eigenen Erfahrung und Geschichte.


Im Zeichen der Zwillinge

Schon von kleinauf an wollte Peter Keizer mit in das Atelier seines Vaters. Er wollte seinem Vater zur Hand gehen und auch selbst schon arbeiten. Am meisten aber, so sagt Jerry Keizer, machte es ihm Spaß, die kleinen vom Vater verworfenen Bilder abzuspannen und dann aus dem Nichts etwas Neues entstehen zu sehen. Dieser Doppelaspekt von Schaffen und Vernichtung bestimmt Peter Keizers Werk maßgeblich. Die Liebe ist gekoppelt an die damit verbundenen gesundheitlichen Gefahren (nr.70-72), der niedliche Teddybär ist der Preis für den gezielten Schuß (nr.51-56),der Hund erscheint als geliebtes Haustier (nr.2-4,129-130) und als zähnebewaffnete Aggression (nr.9-10).

Eine solcher Doppelaspekt gehört zum Sternzeichen der Zwillinge: Peter Keizer ist am 16.6.1961 geboren, und der 16. Juni ist außerdem Bloom's Day, der Tag, an dem Leopold Bloom in Joyce's U l y s s e s durch Dublin getrieben wird wie einst Odysseus durch die mediterrane Welt. "Always on the move" gehört zum Wasser der Flüsse und Meere, ob das nun der Liffey, die Amstel, das Mittelmeer oder der Atlantik ist. Bewegung läßt Traditionen hinter sich, ist Veränderung, Relativierung, Kritik und Vernichtung des Alten. In Peter Keizers Bildern sind solche Haltungen umgesetzt in Aspekte der Ironie, des Humors, der Liebe zum Kleinen, Unbedeutenden und Banalen. Ironisch ist eine Haltung, in der die bildliche Tradition erhabener Themen übersetzt, "trans-portiert" wird in die Welt allergewöhnlichster Dinge. Peter Keizers Gemäldeuniversum besteht vor allem aus Objekten, und diese Objekte gehören zu den ganz konkreten Dingen des alltäglichen Lebens. Keine Geschichtspanoramen, keine Landschaften, keine Architektur, keine Akte, keine Portraits, keine Gruppenszenen, keine Allegorien, keine Mythologien, keine Städte, keine Gestirne.


Die Schuhe bei Van Gogh, Heidegger und Peter Keizer

Gegen die Bedeutung des Subjekts stehen bei Peter Keizer die Objekte im Mittel-punkt der Bilder. Nicht nur die Psychoanalyse hat die Wichtigkeit des Objekts betont, sondern auch die Soziologie (Bruno Latour), die Semiologie (Roland Barthes), die Philosophie (Martin Heidegger, Walter Benjamin). In "Vom Ursprung des Kunstwerks" hat Heidegger die Gegenstände der Welt eingeteilt in die Dinge (der Natur), das Zeug (die vom Menschen hergestellten Produkte aus den Dingen, die zum überleben notwendig sind wie z.B. Werkzeuge) und die Kunstwerke. In den Kunstwerken erscheint die Wahrheit von Zeug und Dingen, die normalerweise hinter dem Nützlichkeitsaspekt aus der Sicht verschwunden ist. Dinge und Zeug sind Zeugen für die eigentliche Seinsverfassung des Menschen, sie sind die in Materie gegossenen Verhältnisse des Menschen zum Menschen und zur Natur. Heidegger hat dies vorgeführt am Beispiel von Van Goghs Bauernschuhen. Hinter deren Nützlichkeit verbirgt sich eine Ansicht vom Menschen in der Welt.

So einfach wie die Schuhe bei Van Gogh (man denke an die anderen einfachen Dinge wie Bett und Stuhl) sind die Gegenstände auf den Bildern Peter Keizers. Sie kommen aus der Welt des Zeugs, also aus der Welt der Dinge, die Menschen gemacht haben. Und hier sind es vielfach die einfachsten oder die frühesten oder die wichtigsten, kurz: die archaischsten im Leben eines Nordeuropäers. Streichhölzer (nr.79-84), Elektroden (nr.143-146), Schornsteine (nr.18-27) und Elektrostecker sorgen für Wärme und Licht, Brunnen (nr.16-17,31-32), Kannen und Tassen halten Wasser bereit, Bagger öffnen die Erde (nr.30), in Ateliers und Wohnzimmern (nr.131-133), auf Matratzen (nr.43-47,49-50) und Sesseln wird gewohnt und gearbeitet, mit Sägen, Messern und Scheren (nr.6-8) schneidet man, Reißverschlüsse schließen, der Mensch lebt nicht vom Brot allein sondern spielt mit Schachfiguren (nr.85-88), Boxhandschuhen (nr.105-108), Fußballschuhen (nr.100), Tanzschuhen (nr.101-103), Schlittschuhen (nr.128), die Geschichte, inklusive der eigenen, sitzt in Tulpen (nr.152-160), dem Soldat von Oranje (nr.139), Pinseln, Malerkisten (nr.165-170), Malerköpfen (nr.89-90,172).


Der Kuß bei Rodin, Hitchcock und Peter Keizer

An diesen archaischen Dingen wird eine Malweise praktiziert, die den archaischen Eindruck verstärkt. Einfache, reduzierte Formen, klobige Massen, große Farbflächen, oft monochrom, durcheinandergerührte Farblagen, dicke, mit dem Spachtel bearbeitete Farbschichten. Die Bilder sind oft wie hingehauen. In dieser Faszination des Materials liegt die Ironie gegen alles falsch Erhabene, Gekünstelte, Prätentiöse und Hohe. Peter Keizers Kunst gibt sich nicht nur archaisch, sondern auch anarchisch. Diese ins Werk gesetzte Einfachheit ist vielleicht das Holländischste an ihnen. In der gewollten Wirkung von Simplizität und der gleichzeitig wie von innen illuminierten Farbgebung zeigt sich neben der Ironie aber auch eine starke Liebe zur Welt als Aufbewahrungsort der Dinge. Ich will das deutlich machen an Bild nr.93 "The kiss".

Vom Titel her läßt es sich auf Auguste Rodins berühmte Skulptur "Der Kuß" aus dem Jahre 1886 beziehen. Es ist vielleicht der letzte geglückte Ausdruck des einstigen Ideals der romantischen Liebe, gelingen kann es nur noch, weil alle Bezüge zur Welt und zur Zeit abgeschnitten sind. Das Paar ist archetypisch nackt und in sich geschlossen. Wandern diese Dimensionen wieder ein ins Liebesverhältnis, ohne daß darüber reflektiert wird, kann sich das "zeitlose" Ideal nur korrumpieren. Alfred Hitchcock's "Vertigo" führt das vor. In der zentralen Kußszene wird die interne Dynamik übertragen "trans-portiert" in die externe des Kameraauges, wobei die Kamera das küssende Paar in einer 360o Bewegung umzirkelt. Doch dieser Kuß, weil er so viel kaschieren muß, führt zur unausweichlichen Katastrophe der Liebenden. Das Ideal läßt sich nicht realisieren.

Peter Keizer setzt diese lebenspraktische Unmöglichkeit um in die äußerste Reduzierung des Bildmaterials. übrig bleiben nur die Köpfe, "zitiert" möchte man sagen, aus den Versatzstücken von Kinderzeichnungen: lange Haare für die Frau, kurze für den Mann, dazu größere Augen und einen röteren Mund für die Frau. Der Zitatcharakter dieses Kusses wird dadurch verstärkt, daß der Kuss selbst schon ein Bild im Bild Peter Keizers ist. Dazu kommt der reflexive Hinweis auf den Maler selbst in Form eines Pinsel unter dem Männerkopf. Zitiert wird ebenfalls die Malerei der Moderne, wie sie als Polyperspektive bei Matisse und Picasso erscheint. Das Krönchen unter dem Frauenkopf zitiert ironisch die "Herzenskönigin", aber auch die Schachkönigin, so daß der irreale Charakter der Liebe, ihr Zitatcharakter, der Spielcharakter von Liebe und Malerei zugleich deutlich werden.

Da die Küssenden schon als Einzelportraits nr.91 "The painter" und nr.92 "His wife" bestehen, können wir zum Schluß kommen, daß sich hier eigentlich zwei Bilder küssen. Zwei Bilder küssen sich auf einem Bild auf einem Bild. Die Küssenden sind der Maler und seine Frau. Welcher Maler? Peter Keizer? Jeder Maler? Irgendein Maler? Der scheinbare Archetyp vom Maler und seiner Frau besteht nur aus Kürzeln, aus clichéhaften Zeichen von "Malerhaftigkeit" wie dem bohèmemäßigen schwarzen Schnurrbart, den schwarzen "französischen" Locken, den Pinseln und ihrer "Existenz" auf Bildern selbst. Damit verdreht Peter Keizer mit Humor eine Welt, die so sicher schien in ihrer dualistischen Aufteilung in Realität und Kunst, Echtheit und Imitat, Innen und Außen.


"Der Maler" und der "Tulpenzwiebelwahnsinn"

Das gleiche geschieht auf anderen Bildern. In "The painter I" (nr.90) trägt der Maler als Zeichen, daß er Maler ist, das Stereotyp von Bart und Baskenmütze - italienische Renaissance oder französischer Montmartre? In "Philip Guston in his art gallery" (nr.89) existiert der von Peter Keizer bewunderte kanadische Maler Philip Guston nur als Zeichen zweiten Grades: als Name und als Bild seiner selbst in seiner Kunstgalerie. Das gleiche in "Augenkontakt" (nr.94). Dieser Initialzünder der Liebe besteht hier aus zwei einander gegenüber aufgehängten Bildern mit je einem Auge. Bilder "sehen sich an". Und "Ja-Wort" (nr.147), gleichsam der Höhepunkt einer Liebesgeschichte, zitiert nur noch mit den metonymischen Kürzeln von Schleier und Zylinder das Ereignis der Hochzeit.

Der Zyklus "Bollenrazernij" oder (Tulpen-)"Zwiebelwahnsinn" ist eine Anspielung auf den finanziell hochgeputschten Handel mit Tulpenzwiebeln im 17. Jahrhundert und den damit verbundenen Ehrgeiz, schwarze Tulpen zu züchten. Das "Tulpenbeet" (nr.160) aus dem Zyklus ist aber kein Bild von einem Tulpenbeet, sondern an der Wand die Kombination von vierundsechzig Einzelbildern mit je einer Tulpe. Es ist eine kritische Reaktion auf diesen Massenwahn, aber gleichzeitig eine hommage an die Schönheit der Tulpen. Sie drückt sich aus in den arabesken Arrangements und den überirdisch strahlenden Farben. Diese Tulpen sind nicht nur ein Lächeln über den Geldhunger oder die floralen Clichés einer nationalen und spießigen Alltagsästhetik - "Tulpen aus Amsterdam" - sondern auch die genuine Bewunderung für die herrlichen Ergebnisse einer freundschaftlichen Symbiose von Erde und Welt, von Natur und Mensch.


Verfremdung: das Objekt bei Peter Keizer

Dies zutiefst humane Doppelverfahren aus Ironie und Liebe ist kennzeichnend für Peter Keizers Gesamtwerk. Ein gebrochener Blick zwischen Kindlichkeit und Erfahrung wählt ein einfaches Ding als Objekt. Dieses Objekt wird verfremdet. Es wird so zubereitet, daß die alltägliche und automatisierte, daher "blinde" Wahrnehmung des Gegenstands gestört wird. Eine solche ästhetik hatten zuerst die Russischen Formalisten systematisch entwickelt. Hinter der Funktion wird der Gegenstand als solcher gegen sein Vergessen-sein hervorgetrieben. (Heidegger hatte diesen automatisierten, blinden Zustand der Welt als Seinsvergessenheit bezeichnet. Das Kunstwerk holt das Sein der Dinge gegen ihre Vergessenheit wieder herauf. Das ist die Wahrheit im Kunstwerk).

Im Nicht-Mehr-Wahrnehmen der Gegenstände als Zustand ihres Vergessenseins entleert sich für den Menschen die Zeit und wird damit zu toter Zeit. Das Absterben ungelebter Zeit soll im Verfremdungsvorgang verhindert werden. Dadurch, daß die Wahrnehmung schwierig und der Erkenntnisprozeß verlangsamt wird, erwacht der Gegenstand und damit die Zeit des Menschen zu neuem Leben. Er wird in einen der Kinderzeit ähnlichen Zustand "trans-portiert", in welchem die Dinge der Welt wieder Staunen und lebendige Wahrnehmung in Gang setzen. Dies kindliche Abenteuer im Umgang mit der Welt schenken uns erneut die Kunst und der Künstler.


Die Isolierung des Objekts

Nur ein selbst schon ästhetischer Blick - seit Kant ist ästhetisch "interesselos wohlgefallend", und das heißt: losgekoppelt vom Funktionszusammenhang der Dinge - ist imstande, einen Gegenstand so aus seinem Kontext herauszulösen, daß er bereits als ein in sich gerundetes Ding mit Eigenwert erfahrbar wird. Die Wahl des Objekts ist also bereits seine Isolierung. Dann wird ein Teilaspekt des Objekts gewählt. Der Ausschnitt wird stark vergrößert ("opgeblazen": "aufgeblasen" im Holländischen): nr.6 ("Zähne"), nr.8 ("Der Ladenfriseur"), nr.15 ("Aufgestapelte Steine"), nr.78 ("Hansaplast"), nr.18-27,29 (Serie Schornsteine), nr.43-47,49-50 (Serie Matratzen), nr.30 ("Bagger"), nr.33-34 (Kartons), nr.51-57 (die Schießbärenserie "Zijn, zij, zij"), nr.58,61-66 ("Hommage an Yves Klein"). Diese Technik wirkt am extremsten in der Serie Streichhölzer ("Lucifers") nr.79-84, weil die sowieso schon so klein sind. Der Verfremdungseffekt dieser kombinierten Verfahren ist so gewaltig, daß man die Titel kennen muß, um die Objekte identifizieren und den Verfremdungseffekt genießen zu können.

Ein solches Objekt ist das genaue Gegenteil des klassischen Objekts in den Stilleben der alten holländischen Meister. Roland Barthes hat darauf angespielt in einer Arbeit zu den (allerdings textuellen) Objekten im Werk Robbe-Grillets. Der seidige Lüster auf den Dingen der alten Meister, auf den Gläsern, den Austern, dem Wein und dem Metall suggeriert synästhetisch eine gleichzeitig gesehene und gefühlte "Haut" oberfläche dieser Dinge, unter der sich umso dunkler das Innere der Dinge, ihr Eigentliches verhüllt.


Die Entleerung des Objekts

Die Materialbehandlung bei Peter Keizer dagegen "entleert" die Objekte. Sie werden auf die Zweidimensionalität der Leinwand reduziert, platt gemacht durch die konsequente Vernichtung der räumlichen Perspektive. Die platten Objekte werden weiter zu Grundformen vereinfacht, so daß sie im Falle ihrer Vergrößerung wie Archetypen, im Falle ihrer Verkleinerung wie Kürzel oder Signale aussehen. Oft werden Szenarios in ihre Einzelbestandteile zerlegt, die dann wieder mit anderen Fragmenten kombiniert werden.

Eine Dekomposition sieht man z.B. in den Bildern nr.131-133. Wiederholungen von Einzelelementen sind die gesträubten Haare der Katze in nr.69, die auch in der Flamme züngeln und als Krönchen unter dem Frauenprofil von nr.93 zurückkehren. Opa Druifs Schuh (nr.100) finden wir wieder in nr.101-103 und nr.128. Der Ofen aus nr.127,129-132 erscheint zwei Jahre später in nr.133.

Ein weiteres Mittel der Entleerung hat Peter Keizer in der serienmäßigen Variation seiner Themen gefunden. Die Serie geht immer auf Kosten der Prominenz des Einzelstücks. In diesem Buch haben wir die Serien der schwangeren Bärchen in "Hommage an Yves Klein", die Schießbudenbären, die Streichhölzer, die Malerutensilien, -kisten und -transporte (nr.161-170), das Mädchen mit der Fellatio (nr.116-120, und spread), Matratzen, elektrische Röhren und Glühbirnen (nr.143-146), Schachfiguren, Tulpen und die Serie, die "Serie 7" (nr.134-140) heißt und ihre Motive nur noch im Untertitel nennt.

Die ästhetik der Entleerung des klassischen Objekts gehört zu Peter Keizers umfassender ikonoklastischer Geste. Deutlichstes Beispiel ist "Plopper" (der Sauger, nr.142). Aus einem Workshop mit Jörg Immendorf stammt sein Wahlspruch "Abstand zum eigenen Werk". Sowohl Abstand zur Kunst als etwas Hohem und Erhabenem hat Peter Keizer daraus gemacht, stattdessen Humor, Freude und Genuß beim Schaffen. Der Abstand zur eigenen Malerei aber verwandelt sich in die Ironie der Motivwahl und der Materialbehandlung.


Das Bild als Ding

Außer der Entleerung des thematischen Objekts durch die beschriebenen Verfahren, strebt die Materialbehandlung mit künstlerischen Mitteln auch nach der Entleerung des künstlerischen Objekts, also der Reduzierung des Gemäldes selbst zu einem Ding unter Dingen. Heidegger hatte bereits gesehen, daß auch das Kunstwerk zunächst einmal ein Ding ist wie ein Sack Kartoffeln oder die Kohle im Keller. Wenn aber die Seinsart der Dinge sich erst im Kunstwerk offenbart, dann muß das Kunstwerk auch über sich selbst sprechen. Und nicht nur das: Es muß jenseits der Anerkennung seiner Wahrheitsdimension den Dingen gegenüber auch seinen eigenen Ding-Charakter zum Vorschein bringen.

Diese doppelte Referentialität ist in jedem gelungenen Werk zu finden. Zunächst ist da das "fecit" eines jeden Werks: die Signatur und die künstlerische Handschrift des Künstlers ("Style c'est l'homme même"). In Peter Keizers Arbeiten wird das, was den Bildern "innen" an Substanz genommen wird (die Entleerung von Thema und Kunstwerk), von "außen" am Bild wieder zugefügt. Die Zerstörung des Lüsters der Außenhaut der Dinge (oben beschrieben) wiederholt sich in der Zerstörung der Außenhaut des Bildes selbst, aber dadurch bekommt das Bild eine neue, "rauhe" Substantialität wie ein Ding.

Die ölfarben sind dick und pastös aufgetragen, oft mehrere Lagen und Farben übereinander. Diese unruhigen Oberflächen werden von den dicken Pinselspuren durchzogen und durchfurcht. Manche Teile der Leinwand bleiben so gar nackt ("Serie 'nicht beendete' Gemälde", nr.102). In diese aufgerisse, bereits trocknende Oberfläche graben sich häufig neue Reliefs, die Peter Keizer mit dem Farbenroller, dem Spachtel, der Sprühdose einarbeitet. Manchmal stehen auf den Bildern Schaumkrönchen aus getrockneter Farbe oder dicke Zacken und Schründe. Diese Techniken geben dem Bildobjekt zurück, was sie dem Motivobjekt genommen haben: Dreidimensionalität. Die Bilder stehen auf dem Sprung, in den Raum hineinzuwachsen, sich eine Nase oder einen Leib zuzulegen.

Es gibt ein langes schmales Objekt Peter Keizers, das der Liebe gewidmet ist. In der Form ist es wie ein Kruzifix ohne Querbalken. Es besteht aus einem Pfeil und einem Herzen und leuchtet in Silber und Rot. Sein Höhepunkt - im wahrsten Sinne des Wortes - ist eine leere silberne Farbtube aus Aluminium. Peter Keizer hat sie auf das halbtrockene Herz gedrückt. Bezeugt wird hier zweierlei: Die Liebe ist gemacht, sie besteht aus Symbolen, die das Gefühl sowohl darstellen als auch - trotz ihrer Stereotypie, aber kraft ihres hohen Gefühlsappells - dieses Gefühl erst hervorrufen. Dadurch wird die Liebe, auch wenn sie letztendlich ein kulturelles Konstrukt ist, doch ein konkretes Ding, so anwesend wie andere Dinge auch. Die Liebe ist nicht nur kitschig, sondern auch schön, ja himmlisch, möchte das Kunstwerk sagen durch seine Formgebung und seine leuchtenden Farben.

Das Bild als Ding zeigen auch die fotografierten Passagen zwischen den Teilen dieses Buchs. Auf den Fotos wird das Kunstwerk eingepackt, getragen, verladen und "trans-portiert" wie jede andere Ware auch. Es wird unbarmherzig herumgeschleppt im Hiatus der Ironie, im Zwischenraum von Kunstwerk und Ding, Abstand und Liebe, Original und Kopie. Das Buch nimmt explizit Bezug auf den Maler selbst, es ist sein Ding, sein Bilderalbum. Der Umschlag zeigt die Initialen des Malers als Teile der Nummer auf dem Nummernschild eines "Trans-port"-Mittels. Die Bilder beginnen mit "Billy & Peter", und enden mit der Malerkiste in Italien, den Malutensilien, dem "Maler" und (dem nackten Maler?) "Unter der Dusche". Das Buch nimmt auch Bezug auf die Tradition seines Metiers und auf seine Sprache. Das innere Umschlagbild zeigt einen Mädchenkopf mit dem Titel: "Ceci est une pipe". Angespielt wird auf das Bild Magrittes "Ceci n'est pas une pipe" (denn das Bild von der Pfeife bei Magritte ist ja nur ein Bild und nicht die Pfeife selbst) und auf den holländischen Ausdruck für die Fellatio "iemand pijpen" ("jemandem einen blasen").


Die Schönheit des Objekts und die Schönheit des Bilds

Und doch: trotz aller Ironie und allen Humors bleibt das Auge unaufhörlich gefesselt an die Schönheit der Bilder. In der Komposition der Formen und ihrer Kolorierung erscheint die Liebe zum Objekt und damit ein grundlegendes "Ja" zur Welt und zum Leben der Dinge. In der Lust zu schauen, erfährt der Betrachter diese Macht der Dinge.

Peter Keizer malt sie leuchtend aus und setzt sie vor andersfarbige Hintergründe, so daß man an Ikonenmalerei erinnert wird. Es ist das Zusammenspiel der Farben, das diesen Effekt hervorruft. In Bild nr.4 beispielsweise erhöht sich das Rot des Hintergrundes durch das dunkle Braun des Hundefells, und umgekehrt intensiviert sich das Braun durch Rot - man möchte sagen, das Braun beginnt zu schimmern wie Samt. In Bild nr.55 steigern sich Rot und Blau gegenseitig, weil beide hell gemalt sind. Dann ist es wieder die Kombination von Primär- und Pastellfarben (nr.159) oder die Beigabe von Bienenwachs, - das erhöht die Transparenz der Farben - die für ungeahnte Augenweiden sorgt. Oder das Bildzentrum wird fast unmerklich so aufgehellt, daß hinter der Leinwand eine Lichtquelle zu stehen scheint (nr.95,151-152). Das beste Beispiel ist der Sauger ("Plopper", nr.142). Auch dies eigentlich fiese Ding ist schlußendlich ein "Trans-port"-Mittel gegen verstopfte Röhren und alle Stagnation. Dafür wird es geliebt, und dafür wird es auf silbernem Tablett, möchte man sagen, auf karmesinrotem Untergrund mit silbernem Knötchengitter fast so etwas wie zelebriert.

Durch die Schönheit der Farbe bekommen alle Objekte, Menschen, Tiere und Dinge, den gleichen Seinsmodus: wie im Märchen. Menschen werden zu Bildchen (nr.35,89-93,117-123), Teddybären zu (schwangeren) Menschen (nr.52-62), Musikinstrumente sind ineinander verliebt (nr.12), ein Stier ist nur eine Tätowierung (nr.104), Schachfiguren werden wieder Könige, Türme und Läufer (nr.85-88), Streichhölzer werden zu Naturkatastrophen (nr.79-84).


Das Objekt des Begehrens

Die märchenhaft leuchtenden Farben geben den entleerten Dingen etwas zurück, was ihnen als Form genommen wurde: ein "Inneres" oder "Eigenes". Aber auch dieses Innere kommt von außen. Eine schimmernde Hülle umgibt sie wie eine Aura. Der Betrachter kann sich an dieser Schönheit nicht sattsehen. Die Illumination der Dinge und Bilder ist der Effekt des Blicks der Liebe, der sie umfaßt, aber gleichzeitig ist diese Liebe in den Dingen aufbewahrt und kommt im Angeblickt-werden zum Vorschein. Die Dinge verhalten sich so wie Prousts Madeleine - ein anderes an sich banales Objekt. Sie konservieren die erfüllte Zeit eines bestimmten Menschen und geben ihr Geheimnis nur Preis, wenn dieser Mensch ihnen noch einmal begegnet. Sie geben uns für einen kurzen Moment unsere Jugend zurück. Das ist der Seinsmodus der Dinge, die die Kunst Peter Keizers zum Erscheinen bringt. Erst in seinen Bildern zeigen die Dinge ihre Macht, die Geschichte von Menschen, die diesen Dingen in der Vergangenheit im Zustand der Liebe begegnet sind, als lebendige Gegenwart aufzubewahren.

Auch der Maler wählt die Motive, die ihm gefühlsmäßig entgegenkommen. Peter Keizer hat es einmal in einem scheinbaren Paradox gesagt: "Man kann alles versuchen zu malen, aber nicht alles läßt sich malen". Nur die Aura der persönlichen, lebendig gelebten und geliebten, aus der Versenkung heraufgestiegenen Zeit verwandelt den Gegenstand in ein Objekt malerischen Begehrens. Auch dieses Begehren manifestiert sich in den Wiederholungen und Serien von Peter Keizers Bildern, denn ein Begehren hört niemals auf, will immer wieder dasselbe.

Durch den Abbau der Dinge, ihre Verfremdung, werden sie gereinigt vom Grauschleier ihres Funktionszusammenhangs. Erst diese nackten Gegenstände entzünden in sich das Entzücken der wiedergefunden und wieder gelebten früheren Zeit. In dieser Erfahrung verschwindet die leere Zeit, die nichts ist als ein Kilometerzähler auf dem Weg zum Tod. Der Rück-"trans-port" in eine frühere Zeit, die Verwandlung von uns in ein jüngeres Ich, das ist die märchenhafte Dimension "unserer" Objekte. Peter Keizer hat für uns dieses Geheimnis der Dinge in seinen Bildern zum Erscheinen gebracht.



Helga Geyer-Ryan ist Professor der allgemeinen und vergleichenden Literaturwissenschaft. Sie arbeitet an den Universitäten von Amsterdam, Cambridge und Los Angeles (UCLA).



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